Diversity & Dialogue

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    menschenbilder - fragments of identity

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    pvc-tanz, Freiburg-Heidelberg, 2006-08 

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    Stahlwerk 2023


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    Mime Art for Live, 2017

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    pvc-tanz, Freiburg-Heidelberg, 2006-08 

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    Fine Art Faculty, Damaskus 2009

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    Weiss Quartett & Andreas Brüning

    Cafe Eden, 2017

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    Sommerakademie Marmara University, Istanbul 2007

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    Flüchtlingsheim Rather Straße Sept.2015

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    Dialoge Die verlorene Idee von der Ordnung der Dinge Istanbul Düsseldorf, 

    1996

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    This Way, Kyoto

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    Kulturforscher  2004

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    Die Welt zu Gast, Düsseldorf, 2004

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    Ferryboat Exhibition, Istanbul 1994

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    Fragments of Identity, Accra 2002

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    BonAngeles, Santa Monica 1989

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    Atelier

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    Atelier 2021

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    Identity / Exhibition Quimper 1999 

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    Atelier Rather Straße 25 (bis März 2021)

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    Atelier Rather Straße 25 (bis März 2021)

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    untitled (Sketch in Space)

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    ... Sarajevo mon Amour (Skizzen)

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Raum für den Dialog

Horchen nach Identität, Tradition und Veränderung

der Düsseldorfer Künstler Ernst Hesse




Am Rande von Derendorf, mitten in Düsseldorf, ein riesiges Freigelände,

dort wo früher der Schlachthof stand: Übrig geblieben sind einige hoch

aufragende Gebäude. Die Gemäuer wirken verwittert, Rampen verengen den

ungepflasterten Weg. Unterschiedliche Betriebe haben sich hier angesiedelt,

eine Autowerkstatt, Rockbands proben hier. Wie ein Turm ragt ein Gebäude

empor, in dem sich seit dreißig Jahren Künstlerateliers befinden. Ernst Hesse

arbeitet hier schon von Anfang an. Eine Metallstiege führt von außen in den

Bauch des Gebäudes. Hesses Arbeitsplatz findet sich gleich hinter dem

Eingang und öffnet sich in die Weite des Raumes, Säulen strukturieren das

offene Stockwerk. Im hinteren Bereich stehen die Gipsformen für den Guss

und einige halbhohe Eisenplastiken, deren Flächen einen Hohlraum

umfangen. Seit den 1980er Jahren arbeitet Ernst Hesse mit verknappten,

mitunter konstruktiv organisierten Formverläufen in immer neuen

Verwandlungen, etwa auch in der Verwendung fernöstlicher oder, in jüngster

Zeit, hebräischer Schriftzeichen. Mit der stillen Intensität seiner Plastiken

wurde Hesses Werk schon frühzeitig bekannt und in Ausstellungen

international gewürdigt.


Im Atelier trennt eine Glasfront zwei langgestreckte Räume ab, hier konzipiert

der Düsseldorfer Künstler seine Skulpturen und realisiert seine autonomen

Zeichnungen auf Papier und Leinwand. An einem eigenen großen Tisch

finden die Besprechungen statt. Ernst Hesse verkörpert beides: den

konzentrierten Bildhauer, der über seinen Entwürfen brütet und unabgelenkt

mit schwer zu handhabenden Materialien arbeitet, und den Kommunikator,

der den Austausch mit anderen Kulturen sucht und sich von ihnen anregen

lässt. Der sich aber auch, was sein eigenes Werk betrifft, mit Technikern und

Architekten Gedanken über die Produktion und die Platzierung der Skulpturen

an öffentlichen Orten macht. Ein wichtiger Schritt dahin sind, so berichtet

Ernst Hesse, provisorische 1:1-Modelle aus leichten Materialien.


Ich erinnere mich an die ersten Atelierbesuche Ende der 1990er Jahre.

Damals befanden sich hier, geschützt vor dem Staub, skulpturale Ensemble

mit kleinen Objekten und alltäglichen Dingen in serieller Anordnung auf extra

angefertigten Tischen und in Regalen und Vitrinen: Fähnchen, die an

Konferenzen mit verschiedenen Verhandlungspartnern denken lassen,

oder nach oben geöffnete steife Papiertüten oder Wein- und Wassergläser,

die über ihre skulpturale Präsenz hinaus auf Grundbedingungen menschlicher

Existenz und des Miteinander-Lebens weisen.


Schon da lag der wesentliche Impuls für das Werk von Ernst Hesse vor.

Wichtig ist ihm die Gültigkeit und Verständlichkeit seiner Werke überall auf

der Welt, in Verbindung mit einem tiefgründigen Bedeutungsspektrum. Wenn

es einen Begriff, ja, eine Programmatik für sein so vielfältiges, für alle Medien

offenes Werk gibt, dann ist es bis heute der des Dialogs. Bereits 1985-86

betitelte Hesse eine Werkgruppe „Correspondencias“. 1989 entstanden

Werke unter dem gemeinsamen Titel „Dialoge“ bzw. „Dialog der Gegensätze“.

Hesse beschreibt und schafft Szenen der Kommunikation, die auf dem

Aufeinandertreffen unterschiedlicher Erfahrungen beruhen. Er widmet sich

den Lebensbedingungen uns ferner Kulturen, dies beinhaltet den

respektvollen Umgang mit ihren Traditionen und handwerklichen Leistungen,

die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und mit Bildung für alle Menschen,

die Achtung der Natur, ihrer Einzigartigkeit und Schönheit. Schon vor

Jahrzehnten hat Ernst Hesse den Eurozentrismus hinter sich gelassen.

Formen des Plastischen „Dialog“ betrifft folglich nicht nur die installative

Präsentation verschiedener Elemente im Gegen- und Zueinander innerhalb

der Skulpturen sondern ebenso das, was es im allgemeinen auch meint:

das Gespräch zwischen Menschen, der Erkennen des Gemeinsamen, aber

auch des Eigenen im Verschiedenen, um voneinander zu erfahren und sich

der eigenen Identität bewusst zu werden.


Ernst Hesse ist ein Lernender, der seine Fragen in Kunst transzendiert.

Skulptur nimmt dabei wahrhaft soziale Dimensionen an.

Sie kann aus einem Tanz oder einem Gespräch bestehen und sich ebenso in

einem Vortrag manifestieren. Seit 1989 hat Hesse teils im Auftrag der Goethe-

Institute und in Zusammenarbeit mit Kunstakademien überall auf der Welt

gemeinschaftliche Ausstellungen und Round-Tabel durchgeführt. Er ist in den

fremden Ländern aber auch auf die Straße, in die Geschäfte, zu der

Bevölkerung gegangen, hat sich nach ihrer Arbeit und ihrem Alltag erkundigt

und sie und ihre Erzeugnisse in seine Projekte einbezogen. Er ist Initiator,

Organisator, er diskutiert und sorgt dafür, dass nachgedacht aber auch

gemeinsam gefeiert wird. Er bringt besonders Düsseldorfer Künstler auf

Ausstellungen außerhalb unseres eurozentrischen Radius und lädt ebenso

die Künstler aus mehr oder weniger fremden Kulturen zu Projekten nach

Deutschland ein. Es ist eine beeindruckende Liste an Städten, an denen er

bislang tätig war. Sie umfasst Los Angeles und San Francisco, Osaka, Izmir,

Istanbul, Bangkok, Kuala Lumpur, Jakarta, Madras, Sarajevo und Accra.

Aber er hat sich in den letzten Jahren genauso bei der Integration der Flüchtlinge,

die nach Düsseldorf gekommen sind, engagiert und mit den Kindern Kunstaktionen

durchgeführt.


Ein weiteres Kapitel bilden die monologischen Schilderungen einer Episode

aus dem Leben eines Anderen, die Ernst Hesse auf Video aufzeichnet:

Er lässt seinen Gesprächspartnern, die aus ganz verschiedenen Berufen und

Ländern stammen, dazu alle Zeit. Die Kamera laufe, sagt Ernst Hesse,

und er höre einfach zu: am besten natürlich beim Interviewten daheim oder

an seinem Arbeitsplatz. So entsteht ein Archiv in einer filmischen Einstellung.

Sowieso, Zuhören ist unverzichtbarer Teil der Kommunikation und schließlich

auch Teil des Werkes von Ernst Hesse. Das Zuhören entspricht vielleicht dem

Abtasten der Oberflächen der Skulpturen mit den Augen.

Als Künstler ist Ernst Hesse zunächst einmal Bildhauer. Einen frühen, 1990

erschienenen Katalog hat er „Autonome und kollektive Skulpturen“ betitelt.

Da steckt das Gemeinsame schon drin. Hesses universelle Sprache, die er

immer wieder der Natur – den Früchten, exotischen Pflanzen, der Landschaft

– entlehnt, ist grundsätzlich und elementar. Darin ist sie noch archaisch.

Von daher ist es (über praktische Aspekte im öffentlichen Raum und über die

Ästhetik der Oberflächen hinaus) konsequent, dass er bevorzugt mit Eisen

und Bronze arbeitet. Die Modelle und Gussformen bestehen neben Gips

mittlerweile auch aus Holz. Die Metalle kommen aus dem Inneren der Erde.

Sie konservieren im Spektrum ihrer Farbtöne noch die Hitze, das Feuer und

das Erkalten. Sie finden sich schon bei den alten Kulturen, überall auf der

Welt. In ihrem erdigen Lokalton fügen sie sich in die Umgebung ein, ohne

mit dieser zu konkurrieren oder Natur oder Architektur nachzuahmen.

Bei Ernst Hesse interagieren sie, aber konkurrieren nicht.


An der Kunstakademie in Düsseldorf hat Hesse bei Erich Reusch in dessen

Klasse für „Integration Bildende Kunst und Architektur“ studiert. Skulpturen

von Ernst Hesse stehen im städtebaulichen Kontext komplexer

Verkehrssituationen. Aber er hat sie auch mitten in die Natur gestellt, so wie

in den letzten Monaten auf dem Kultur-Hof in Kaarst, den Helge Achenbach

initiiert hat. Skulptur wird auch zum fokussierenden Rahmen, durch den man

in die Ferne blickt und der damit Nähe und Ferne in Beziehung zueinander

setzt: Für die Fußball-Weltmeisterschaft in Japan hat Hesse aus Cor-ten-

Stahl die Skulptur „... globaler Rahmen für die Freundschaft“ (2000) in Fukuroi

geschaffen. In die 3 m hohe und 5 m breite, auf einer Wiese vor einer Mauer

stehende Stahlfläche ist ein Längsoval geschnitten. Oben und unten richten

sich zwei verschieden kantige Formen in den Leerraum und bilden eine

virtuelle Achse. Bei anderen Skulpturen ragen blockartige, zueinander

versetzte Kreissegmente auf ohne sich jedoch zu schließen, oder sie bauen

sich aus mehreren übereinander platzierten Kegelsegmenten auf. Daneben

hat Ernst Hesse Skulpturen geschaffen, die im kleinen, ja, winzigen,

komprimierten Format bleiben. Sie trügen die Energie des ganzen Raumes

in sich, sagt Ernst Hesse, und so ist es ja auch. Als in sich strukturierte Rund

oderTropfenformen erinnern sie manchmal an Früchte. Oder sie erheben

sich bauchig, verjüngen sich gleichmäßig und ähneln dann Gefäßen.

Als Bronzen entwickeln sie ein reiches Spektrum schillernder Töne, aus Eisen

mit der samtigen Textur tragen sie unmittelbar das Erdige kultischer Gegenstände.


Linien im Raum


Einige neuere, nun linear verschränkte Plastiken hat Hesse mit Lichtleisten

versehen; bei Nacht sind einzelne Konturen sichtbar – ein Experiment, das

verdeutlicht, wie sehr Hesse an Klarheit und Klärung gelegen ist. Er bringt

Strukturen in eine Ordnung und lotet so auch den Ort ihrer Präsentation aus:

Ist dies nicht auch von Anfang an bei seinen Bildern auf Leinwand und Papier

der Fall? Auf dem neutralen, weißen Grund stehen Ellipsen und geometrische

Formen aus schwarzen, blauen und roten Linien, die sich durchdringen und

so einen plastischen Raum beschreiben. Sie erinnern mitunter an

Vermessungen des Sternenhimmels, könnten Aufrisse im Gefüge

stereometrischer Körper sein oder lassen an Entwürfe für Platzanlagen

denken. Seit einigen Jahren setzt Hesse noch spiralige Verläufe in und über

das zeichnerische Geschehen, das er nun am Computer und mit dessen

Möglichkeiten – und mitunter mit der Farbigkeit ganzer Flächen – realisiert.

Wieder andere Bilder bestehen aus einer einzigen monochromen Partie,

die wie ein Scherenschnitt inmitten des unberührten Blattes wirkt und in ihrer

Dichte als plastischer Körper ganz in der Ferne im Gegenlicht auftritt. An der

eigentlichen Malerei als künstlerischer Praxis störe ihn die Flächigkeit bei der

Entstehung, sagt Ernst Hesse im Atelier beim Betrachter seiner so räumlich

empfundenen Bilder.


Was ist Plastik, Skulptur hingegen bei Hesse nicht alles: die Papiertüte,

der Tisch, das Glas, überhaupt Gefäße, Brot und – landestypische, exotische –

Früchte. Die Artischocke etwa ist ein Sujet seiner Fotoarbeiten. Diese sind

s/w, aber die Bearbeitung im Entwicklungsprozess voller schillernder Töne.

Tropfen der Entwicklerflüssigkeit und partielle Unschärfen verleihen den

Fotoabzügen eine geradezu mythische Präsenz: Sie laden die Früchte mit

der Bedeutung auf, die sie tatsächlich besitzen. Sie gehören zu den

Grundnahrungsmitteln wie Wasser und Reis, auf die Hesse ebenfalls in

Werkgruppen eingeht. Mit der gleichen Intensität widmet er sich seit langem

auch der Gestalt des Brotes. Man kann sagen, er sammelt dessen Formen.

Er sucht die Laiber überall auf der Welt, gebacken von ortsansässigen

Bäckern oft in Familientraditionen, und forscht so nach ihrer Verbreitung, aber

auch ihrer Form und befragt, wie es zu ihr kommt. Neben Fotoarbeiten gießt

Hesse einzelne dieser Brote in Eisen und in Bronze ab. Eine Ausstellung im

Deutschen Brotmuseum in Ulm hat vor einigen Jahren verdeutlicht, wie sehr

sich die gebackenen Brote von Landstrich zu Landstrich unterscheiden. Die

Handarbeit bleibt ihnen eingeschrieben und damit die Einzigartigkeit auch.

Wir denken an das Grundnahrungsmittel, das überall auf der Welt das Leben

vom Kind bis zum Greis begleitet. An das Brot Brechen im biblischen aber

auch allgemeinen Sinne: als Anlass für das gemeinsame friedvolle Essen.

An die Weizenfelder. Und wir sehen nun in den gebackenen und davon

abgegossenen Broten das Handliche und Monolithische, das Berührte,

aber plötzlich Unberührbare. Genau dieses Paradoxon wirft Hesse auf:

Als Bronze werden sie materiell kostbar, aber zu essen sind sie nicht mehr.

Ist es nicht auch mit vielem anderen in unserer Zivilisation so?


Ernst Hesse wurde 1949 in Düsseldorf geboren. Hier hat er von 1976 bis

1981 an der Kunstakademie Düsseldorf studiert. Seine Metallplastiken stehen

u.a. in Düsseldorf, München, Lippstadt, Viersen und in Japan. Wichtige

Einzelausstellungen fanden in Kiel, Kleve, Düsseldorf, Osaka, Izmir, Kuala

Lumpur, New Delhi und Jakarta statt. Daneben hat er selbst Ausstellungen

auf der ganzen Welt kuratiert. Ernst Hesse lebt und arbeitet in Düsseldorf.


Thomas Hirsch, Boesner Kunstportal, 2020

         


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